Martin Hardt: "Ein Leuchtturm des Mutes"

(erschienen in NEUES DEUTSCHLAND vom 8. Januar 2014)

Unsicher, ängstlich die Hand auf der Schulter des Vorhergehenden. Manchmal lässt der schmale Bürgersteig eine Schulter an der Gründerzeitwand schaben. Vorne ein hoch aufgeschossener Mann im Schick der dreißiger Jahre, an seinem Arm die gelbe Binde mit drei schwarzen Punkten. Otto Weidt is es einmal mehr gelungen, einige seiner Schutzbefohlenen aus den Händen der Gestapo zu befreien. Es waren die Augen einer Nonne, die jenes Wunder in den Zeiten des Terrors sahen. Im Dokudrama »Ein Blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt« (Buch: Heike Brückner von Gumbkow, Jochen von Grumbkow, Regie: Kai Christiansen), am Montag im Ersten gezeigt, sind es die Augen von Alice Licht (Henriette Confurius) und Inge Deutschkron (Julia Goldberg). Edgar Selge gibt Otto Weidt sein Gesicht, jenem »Gerechten unter den Völkern«, wie es im Holocaustmahnmal Israels, Yad Vashem, nachzulesen ist.

Sandra Maischbergers Produktionsfirma Vincent TV ist ein Film gelungen, der den Abgründen und Apotheosen menschlichen Daseins eine Bühne ist und doch eine Leichtigkeit hat, wie sie selten gelingt. Mit Sicherheit hat hier Inge Deutschkron ein Wörtchen mitgeredet, die als Erzählerin den Film über jenen Ort und jene Menschen begleitet, die sie selbst erlebt und meist auf einen jener Transporte verschwinden sah, die in den geplanten Massenmord schwankten. Sie hatte sich auch unter den Schutz des schlitzohrigen, energischen Besen - und Bürstenfabrikanten Otto Weidt geflüchtet, dessen Betriebssitz im Hinterhof der Rosenthaler Straße 39, gleich am Hackeschen Markt, heute Gedenkstätte und Museum ist. Sie hat erlebt, wie es Weidt gelang, seine Blindenwerkstatt zum Hersteller kriegswichtiger Güter für die Wehrmacht durch die Jahre zu lavieren und dabei seine meist jüdischen Mitarbeiter ein ums andere Mal vor dem Zugriff der Nazischergen durch Bestechung und Ausspielen von Wehrmacht und Gestapo zu bewahren.

Durch Verrat zerstiebt das Idyll auf Zeit für jene Menschen, die in den Wänden der kleinen Manufaktur für ein paar Stunden des Tages Mensch sein durften, arbeiteten und sich versteckten. Davon erzählt der Film – und von dem erfolgreichen Husarenritt des blinden Unternehmers, als alles verloren scheint, doch seine Alice aus einem Lager zu befreien, nachdem auch sie über Theresienstadt nach Auschwitz und dann zur Munitionsproduktion in die Niederlausitz kam. Alice folgt ihren Eltern in das KZ Theresienstadt, um sie nicht gleich in Auschwitz zu verlieren. So das letzte »Geschäft« Weidts mit der Gestapo.

Es sind glaubwürdige Szenen mit wunderbaren Schauspielern, die sich im Set der dunklen, engen Manufaktur, auf den Straßen, im Wohnzimmer Otto Weidts abspielen. Inge Deutschkrons Kommentare aus dem Sessel brechen den Fluss dort, wo Melodrama locken könnte. Text und Deutschkrons Subtext greifen perfekt in einander.

»Dass wir uns gedrückt haben vor dem Schicksal der anderen«, nennt Inge Deutschkron das Trauma der Überlebenden. Die junge Alice scheint schon zu ahnen, was das bedeutet, als sie die letzten Monate der Barbarei bei Otto Weidt und seiner Frau (Heike Hanold-Lynch) überlebt. Sie geht in die USA. Doch ihr Brief an Yad Vashem rettet Otto Weidt vor dem Vergessen in der eigenen Stadt.