Peter Steinbach: "Korrektur einer Diffamierung"

(erschienen in TRIBÜNE. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 50 (2001), Heft 197, 1. Quartal 2011, S. 16 ff.)

Die Geschichte von Hedwig Porschütz ist viel bekannter als ihr Name und ihr Schicksal nach ihrer Befreiung von der NS-Herrschaft. Denn immer wieder wurde in den Erinnerungen untergetauchter Berliner Juden geschildert, dass und wie sie ihr Überleben im Untergrund auch einer Prostituierten verdankten. In Jo Baiers Verfilmung der Erinnerungen von Michael Degen spielt sogar eine Puffmutter eine wichtige Rolle. Auch Inge Deutschkron überliefert, dass den Schützlingen von Otto Weidt, der eine Blindenwerkstatt nutzte, um Verfolgte zu retten, von einer Prostituierten geholfen wurde.

Otto Weidt hatte Hedwig Porschütz Anfang 1943 als Stenotypistin eingestellt, vermutlich, damit sie eine Arbeitsstelle vorweisen konnte, um der vorgeschriebenen »Arbeitspflicht« zu entgehen. Sie war sehr erfahren beim Organisieren von Lebensmitteln auf dem Schwarzmarkt. Weidt brauchte diese Schwarzwaren, um Lebensmittelpakete nach Theresienstadt zu verschicken aber auch, um Gestapo-Beamte zu bestechen. Porschütz konnte gefälschte Ausweise besorgen und half so, Inge Deutschkron zu retten.

Johannes Tuchel hat akribisch ihren Rettungswiderstand untersucht, indem er alle Aktionen, an denen sie beteiligt war, rekonstruierte (Johannes Tuchel, Hedwig Porschütz: Die Geschichte ihrer Hilfsaktionen für verfolgte Juden und ihrer Diffamierung nach 1945, Berlin: Museum Blindenwerkstadt Otto Weidt 2010.)

Dies war Voraussetzung für eine Ehrung im Berliner Gedenktafelprogramm. Wo sich früher Porschütz’ Wohnung befand, ist nun zu lesen: »In den Jahren 1943 und 1944 versteckte sie in ihrer Wohnung in der Alexanderstraße 5 mehrere Jüdinnen und bewahrte diese damit vor der Deportation in ein Vernichtungslager.« Tuchel knüpft nicht nur an ein bewegendes Buch an, das 1996 von Inge Deutschkron unter dem Titel »Sie blieben im Schatten« veröffentlicht wurde. Er leistet auch eine besondere Wiedergutmachungsarbeit, weil er die Hintergründe eines entehrenden Urteils aufklärt und die benennt, die Hedwig Porschütz unverhältnismäßig hart verurteilt hatten. Nicht nur die Opfer erhalten einen Namen, sondern auch ihre Blutrichter. Inge Deutschkron, die früh an Hedwig Porschütz erinnerte, schuf die Voraussetzungen für die Bewahrung der Blindenwerkstatt von Otto Weidt am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte als einem der wichtigsten authentischen Berliner Erinnerungsorte. Sie gründete den Förderverein »Blindes Vertrauen« und trieb die Errichtung einer Gedenkstätte zur Würdigung der Leistung jener »Stillen Helfer« voran, also der wenigen »Gerechten der Völker«, die bedrängten Juden halfen, der Deportation und ihrem sicheren Tod zu entgehen. Sie riskierten zugleich ihr Leben. Nach dem Krieg tat man sich mit der Anerkennung dieser »unbesungenen Helden« schwer, denn der Bundesgerichtshof hatte nur Taten als Widerstand anerkannt, die »aus dem Zentrum der Macht heraus« den Umsturz des Gesamtsystems anstrebten. Dies führte zur Abwertung des im Alltag bewiesenen Widerstands, wie ihn vor allem jene Frauen und Männer leisteten, die fest davon überzeugt waren, dass die Rettung eines einzigen Menschenlebens den Einsatz des eigenen Lebens nicht nur verlange, sondern sogar lohne. In den sechziger Jahren wurde dieses Urteil, das die Handlung der Eliten besonders hervorhob, korrigiert. Nun ging es um Zivilcourage, um die Bereitschaft, Gefahren und Nachteile in Kauf zu nehmen, und um die Selbstverständlichkeit, Bedrängten beizustehen – auch unter größten Risiken.

Hedwig Porschütz, die um die Jahrhundertwende in Berlin-Schöneberg als Tochter eines Arbeiters zur Welt kam, arbeitete nach dem Besuch der Handelsschule als Bürokraft. Erstmals wurde sie 1934 wegen angeblicher Erpressung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Ihr Mann, der 1940 zur Wehrmacht eingezogen worden war, war offensichtlich Nationalsozialist. Vermutlich kam es zu einer Entfremdung zwischen den Eheleuten.Porschütz gehörte vom Herbst 1941 an zu einem Netzwerk von Menschen, die nur ein Ziel hatten: Juden vor der Vernichtung zu bewahren. So organisierte sie Quartiere, bot in ihrer Wohnung oftmals Bedrängten Unterschlupf, beschaffte Lebensmittel und half Otto Weidt, dem Bürstenfabrikanten vom Hackeschen Markt, Pakete nach Theresienstadt zu schicken. Offensichtlich hatte ihr einer der Bekannten, ein Soldat, der sie regelmäßig besuchte, »Reise- und Urlaubsmarken« ausgehändigt, also eine besondere Art von Lebensmittelmarken für Soldaten auf Heimaturlaub, die eingetauscht und auf dem Schwarzmarkt umgesetzt wurden. Das ging mehr als zwei Jahre gut. Dann aber wurde Hedwig Porschütz verhaftet und wegen Schwarzmarkthandels zu einer eineinhalbjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, die sie in Jauer in einem »Außenzuchthaus «, einem Arbeitslager, verbüßen sollte. Das Sondergericht lastete ihr überdies an, »wahllos Umgang mit Männern unterhalten « zu haben, leitete aus dieser Feststellung aber keine Verschärfung der Strafe ab. Daraus wird deutlich, dass die Unterstellung, gewerblicher Prostitution nachgegangen zu sein, erst viel später Bedeutung erlangte. Denn jeder Antrag auf Wiedergutmachung, auf finanzielle Unterstützung oder auf moralische Anerkennung als »unbesungene Heldin« wurde von den Berliner Behörden nach dem Krieg abgelehnt. Eine Sachbearbeiterin des Berliner Entschädigungsamtes deutete 1959 sogar an, dass eine »Anerkennung ohne weiteres in Frage käme«, wenn nicht »die Begleitumstände zur Beschaffung der Lebensmittel auf ein derart niedriges sittliches und moralisches Niveau« der Antragstellerin schließen ließen, dass eine Ehrung ausgeschlossen sei. Das Urteil des Sondergerichts wirkte offensichtlich noch Jahre später. Es wurde sogar verschärft, denn die Sonderrichter hatten im Oktober 1944 in ihrer Urteilsbegründung lediglich den »wahllosen Umgang mit Männern « konstatiert. Daraus wurde fünfzehn Jahre später ein »wahlloser Umgang mit fremden Männern«.

Das Ergebnis dieser moralischen Indifferenz von Bürokraten war, dass Hedwig Porschütz weder als »politisch Verfolgte« noch als »unbesungene Heldin« anerkannt wurde. Ihr Ehemann nahm übrigens nach dem Krieg an ihrem angeblich unsittlichen Lebenswandel keinen Anstoß – vielleicht hatte er das Gefühl, seine Unterstützung der Nationalsozialisten sei eher als gravierender moralischer Fehltritt zu bewerten als die Lebensumstände seiner Frau, die den von ihr so mutig bewiesenen vielfachen »Rettungswiderstand« erst ermöglicht hatten. Besser als Hedwig Porschütz erging es ihren Richtern. Sie wurden trotz ihrer Beteiligung an zahlreichen Todesurteilen wieder in den Justizdienst übernommen und erinnerten sich angeblich an nichts, nicht einmal an fast einhundert Todesurteile, die sie verantworteten. Landgerichtsrat Joachim Wehl erklärte, die von ihm ausgesprochenen Todesurteile hätten sich nur gegen Täter aus dem Umkreis der Beschaffungskriminalität gerichtet. »Harte Zeiten, harte Urteile«, mehr fiel ihm 1980 nicht dazu ein. Bevor er den Dienst quittierte, konnte er durchsetzen, dass ihm das Höchstruhegehalt gezahlt wurde.

Hedwig Porschütz hingegen endete als Sozialfall. Sie starb in einem Schöneberger Altersheim im Alter von 77 Jahren. Im Jahre 2010 aber wurde sie durch den Berliner Staatssekretär André Schmitz geehrt. Das zumindest unterscheidet sie von ihren Richtern. Das Urteil des Berliner Sondergerichts aber ist bis heute nicht aufgehoben worden. Dabei steht zweifelsfrei fest, dass der Schwarzhandel es ermöglichte, Lebensmittel für Untergetauchte zu beschaffen. Klug alle sich bietenden Möglichkeiten nutzend, hatte Porschütz Männerbekanntschaften geschlossen, um an Lebensmittelkarten zu kommen. Diejenigen, die die Justiz als »Freier« bezeichnet hatte, verriet sie nicht. Inzwischen hat der Förderverein »Blindes Vertrauen« bei der Berliner Staatsanwaltschaft beantragt, das Urteil aufzuheben. Korrektur einer Diffamierung als Ehrenrettung.